Vergleichende Forschungen zu Formen und Formeln der Agrarverträge im frühmittelalterlichen Italien
Dr. Yoshiya Nishimura
Für Mediävisten stellen Privaturkunden zwischen Einzelpersonen bzw. zwischen kirchlichen Einrichtungen und Laien eine wichtige Quellengattung dar, anhand derer die damaligen gesellschaftlichen Realitäten erfasst werden können. Dazu gehören auch die Agrarverträge, auf deren Grundlage Einblicke in die sozioökonomischen Beziehungen zwischen Feudalherren und Bauern im ländlichen Bereich gewonnen werden können. In jüngster Zeit ist das Interesse für das Verhältnis zwischen den Urkundenstrukturen einerseits und der wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und institutionellen Ordnung andererseits gewachsen. Es geht dabei um die Frage, ob und wie stark sich in den Veränderungen des formalen Aufbaus der Urkunden durch die Entstehung neuer oder die Variation bestehender Formen auch ein gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und institutioneller Wandel widerspiegelt. Für den Zeitraum zwischen dem 8. und dem 11. Jahrhundert befasst sich das vorliegende Projekt mit dieser Thematik in einer vergleichenden Perspektive und nimmt dabei insbesondere vier Fallbeispiele in den Blick: die Abbazia San Salvatore am Monte Amiata, Lucca, Ravenna und die Abtei Cava de' Tirreni. Die Agrarverträge von San Salvatore bilden den Bezugspunkt der Untersuchung. Die Archive von Lucca weisen in Italien den reichsten Bestand an frühmittelalterlichen Quellen aus der Zeit vor der Jahrtausendwende auf. Während sich der Monte Amiata und Lucca in Mittelitalien (Toskana) und die frühere Hauptstadt des Exarchats Ravenna in Norditalien befinden, gehörte die süditalienische Abtei Cava de' Tirreni, anfänglich am Rande des langobardischen Reiches gelegen, ab dem 9. Jahrhundert zum unabhängigen Fürstentum Salerno. Anhand dieser vier reichen Quellenbestände lässt sich das Verhältnis zwischen den Veränderungen in den Formen und Formeln der Agrarverträge einerseits und dem Wandel der jeweiligen lokalen Gesellschaft andererseits erhellen. Der zeitliche Rahmen liegt zwischen dem 8. Jahrhundert, mit dem in Italien die Überlieferung der Privaturkunden beginnt, und dem 11. Jahrhundert, als die Agrarverträge grundlegende Veränderungen durchlaufen hatten.
Dr. Yoshiya Nishimura
Visiting Scholar Medioevo 2015–2016