Frühneuzeitliche Staatsbankrotte. Akteurszentrierte Analyse der europäischen Kreditmärkte um 1550
PD Dr. Heinrich Lang
Während die spanische sowie französische Kronen ihre kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen 1494 und 1559 mit stark anwachsenden Geldmitteln finanzieren mussten und daher eine Reihe von fiskalpolitischen Reformen anstrengten, organisierten besonders italienische, süddeutsche und neu-christliche Bankiers umfangreiche Darlehen an die Herrscher und deren Finanzverwaltungen. Die wichtigste Kompetenz der Bankiers-Financiers bestand darin, Bargeld schnell sowie räumlich beliebig verfügbar machen zu können und sich phasenversetzt zu refinanzieren. Dabei entwickelten sie ein komplexes Gefüge aus angelagerten Kredit- und Wechselmärkten, das sie zwischen Lyon, Antwerpen und den Kastilischen Messen entfalteten. Dabei entstanden zwei Finanzierungssysteme, die über Antwerpen miteinander verbunden waren: ein genuesisch-süddeutscher Orbit für die spanischen Habsburger und ein florentinisch-süddeutscher Einflusshorizont für die französischen Könige. Die Insolvenzen der spanischen Krone 1557 und der französischen Monarchie 1559 vollzogen sich als Umschuldungen und Zahlungsausfälle. Im Wesentlichen ließ die Habsburger Finanzadministration die hoch verzinslichen und kürzer terminierten Papiere (asientos) in längerfristige und niedrig verzinste Ansprüche (juros) umschreiben. Die Finanzverwaltung Frankreichs hingegen adoptierte einen vom Florentiner Bankier Albizzo del Bene entwickelten Rückzahlungsmechanismus, bei dem ein Zinssatz auf eine zuvor festgelegte Kreditaufnahme mit einer auf 13 Jahre ausgedehnten Erstattungsphase verkoppelt wurde. In beiden Fällen scheiterte die Umwandlung von schwebender in fundierte Schuld am übersteigerten Finanzbedarf der Kronen.
Im Mittelpunkt des Projektes stehen erstens die an den jeweiligen Buchführungen ablesbaren Verfahrensweisen der süddeutschen und der italienischen Kaufmannbankiers sowie deren Bankgesellschaften und zweitens die Rolle der ökonomisch Handelnden bei der Konstituierung von Kredit- und Wechselmärkten. Die Leitfrage lautet: Warum beteiligten sich die Bankiers an den Herrscherfinanzen? Dabei zeigt sich, dass die Kaufmannbankiers und ihre Bankgesellschaften Netzwerke zur Kreditfinanzierung bildeten und auf den an die Herrscherfinanzen angelagerten Wechsel- und Kreditmärkten ihre Profite zu generieren versuchten. Auf diese Weise refinanzierten die Bankiers ihre Investitionen in die Krondarlehen und lösten den Schuldenausgleich aus dem unmittelbaren Zusammenhang der Silberlieferungen aus Südamerika und der Rückzahlungen durch die Kronen. Die Handelsarchive in der Toskana, in Genua, in Antwerpen und Süddeutschland bieten dabei die wichtigsten Quellenbestände für diesen stark praxeologisch orientierten Interpretationsansatz unternehmerischen Handelns an den europäischen Märkten in der Mitte des 16. Jahrhunderts.
Dr. Heinrich Lang
Projektmitarbeiter 2016–2017