Wahrheitsbegriffe im frühneuzeitlichen historischen Diskurs im Kontext von Kanon und Zensur
Dr. Andreea Badea
Ursprünglich als Waffe im interkonfessionellen Diskurs eingesetzt, wurde das Schreiben von katholischer Kirchengeschichte im Laufe des "langen nachtridentinischen Jahrhunderts" zunehmend zum Störfaktor römisch-kurialer Zentralisierungsversuche. Deshalb reagierte die Kurie nicht selten mit Zensur auf solche Devianzen.
Das Projekt beschäftigt sich mit circa 25 in den verschiedenen römischen Kongregationen verhandelten kirchengeschichtlichen Werken und mit ihren dezidiert katholischen Autoren in der Zeit um 1700. Zu den verhandelten Autoren zählen weitestgehend unabhängige wie zum Beispiel das Herausgeberkollektiv der Acta Sanctorum, aber auch Historiographen, die sich im Dienste politischer Größen bewegten wie Giovanni Palazzi, Etienne Baluze oder Claude Fleury.
Auch wenn das Zensurverfahren der Kongregationen am Ende des 17. Jahrhunderts bereits stark formalisiert war, so spielte die jeweilige politische und gelehrte Vernetzung der Autoren oft eine zentrale Rolle, zumal nicht selten mehr oder minder erfolgreiche Versuche unternommen wurden, das Verfahren zu konterkarieren. Diese Verfahren sollen vor dem Hintergrund zunehmender Professionalisierung der Historiographie und ihrer Exponenten ausgewertet werden, wobei die Untersuchung der jeweiligen Rezeption der Bücher in gelehrten Kreisen sowie der europaweiten Vernetzung der Autoren den Ausgangspunkt der Analyse darstellt. Es ist dabei eine Antwort zu erwarten auf die Frage, inwiefern die Entkoppelung der Geschichte aus ihrer Funktion als ekklesiologische Hilfswissenschaft auch innerhalb der Kurie bereits rezipiert und diskutiert wurde. Dies führt unmittelbar zu der im Verlauf des 17. Jahrhunderts intensiv ausgetragenen Debatte um Instanzen der Wahrheitsverwaltung und um die Deutungshoheit über die Vergangenheit. Welchen Stellenwert kann die methodisch abgesicherte, kritisch geprüfte historische Wahrheit einnehmen, zumal gespiegelt im kurialen Selbstverständnis der Kirche und dem von ihr gewahrten Traditionsbegriff? Und inwiefern kann in diesem Zusammenhang bereits von der Ausdifferenzierung der Geschichte als Wissenschaft gesprochen werden? Die langfristigen Auswirkungen dieses Konfliktes in der res publica literaria sind schließlich anhand der fortan schrumpfenden katholischen Historiographie des 18. Jahrhunderts zu prüfen.
Dr. Andreea Badea
Wissenschaftliche Mitarbeiterin Frühe Neuzeit 2012–2018