Imperien im Krieg. Der Zweite Weltkrieg aus transimperialer und (post)kolonialer Perspektive

PD Dr. Daniel Hedinger

Der Zweite Weltkrieg war ein Kampf zwischen Imperien, ein Krieg um Imperien und um die Frage, welche imperiale Ordnung die Welt dominieren sollte. Doch sind wir daran gewöhnt, den Weltkrieg primär als einen Konflikt zwischen einzelnen Nationalstaaten zu verstehen. Die Hartnäckigkeit, mit der sich solche Lesarten halten, erstaunt vor allem dann, wenn wir einen Blick auf die Geschichtsschreibung zum Ersten Weltkrieg werfen: Hier haben sich im Kontext seines hundertsten Jahrestages die Stimmen gehäuft, die zu Recht auf die globalen und auch imperialen Dimensionen dieser "Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts" hinweisen. An deren Ende stand in Europa bekanntlich die forcierte Nationalstaatenbildung, die für diesen Kontinent bereits den Keim künftiger Konflikte in sich barg. Doch das Ideal der Selbstbestimmung der Völker war zutiefst eurozentrisch, während sich in der Zwischenkriegszeit mehr Menschen als je zuvor kolonialen Ordnungen unterworfen sahen. Die daraus resultierenden Spannungen und Widersprüchlichkeiten mögen erklären, wieso imperiale Kontexte und Dimensionen in Bezug auf die Ursprünge und den Verlauf des Zweiten Weltkriegs noch einmal wesentlich prominenter als im Ersten Weltkrieg hervortreten: Dies zeigte sich beispielsweise 1931/32 in der Mandschurei und drei, vier Jahre später in Äthiopien; es zeigt sich aber auch in den Erfahrungen vieler Millionen Soldaten und Zivilisten, deren Bezugshorizont während des Krieges in erster Linie ein imperialer war. Vor diesem Hintergrund zielt das Projekt darauf ab, eine (post)koloniale und transimperiale Perspektive auf den Zweiten Weltkrieg zu entwickeln.
Neuere Ansätze wie die New Imperial History, die transnationale Geschichte, postkoloniale Theorie oder auch die neuere Gewaltforschung bieten das theoretische und methodische Rüstzeug dazu. Dabei wird der Zweite Weltkrieg vor allem aus "asiatischer" Perspektive als ein imperialer Krieg fassbar – eine Perspektive, die aber bis heute sekundär geblieben ist. Vor diesem Hintergrund geht es auch darum, Distanzen und Hierarchisierungen zwischen den Kriegsschauplätzen und Kontinenten zu überwinden. Das Projekt hinterfragt damit erstens räumliche Dimensionen des Krieges und thematisiert die Globalität der jeweiligen Konstellationen. Dabei geht es darum zu zeigen, inwiefern und wie stark die einzelnen Hemisphären des Krieges verlinkt waren, interagierten und wie sich dabei nationale und imperiale Fragen ergänzten und durchdrangen. Zweitens stellt die hier eingenommene Perspektive auch liebgewonnene Periodisierungen in Frage. Wann und wo lassen wir den Zweiten Weltkrieg beginnen, wann, wie und wo enden? Für den kolonialen Raum scheint es naheliegend, nicht von einem eindeutigen Beginn und einem endgültigen Ende – sondern von mehreren Anfängen und Ausgängen – zu sprechen. Drittens hat der bisherige Fokus auf nationalstaatliche Narrative eine Vielzahl von Akteuren marginalisiert. Daher zielt das Projekt auch darauf ab, ganz konkret Wahrnehmungs- und Erwartungshorizonte einzelner Akteure, die in meist subalternen Positionen den Weltkrieg in erster Linie in kolonialen Kontexten durchlebten, zu rekonstruieren. Denn erst der systematische Einbezug von solchen "Geschichten von unten" und Kriegserfahrungen aus außereuropäischen Kontexten macht die Vielfalt imperialer Dimensionen dieses Konflikts fassbar.

PD Dr. Daniel Hedinger
Gastwissenschaftler Neueste und Zeitgeschichte 2017–2018