"In Farben gezeichnet". Orchestration und Formgestaltung in Symphonien und Ouvertüren des frühen 19. Jahrhunderts zwischen Deutschland und Italien

Dr. Federica Di Gasbarro

Farbenkreis zur Symbolisierung des menschlichen Geistes- und Seelenlebens

Farbenkreis zur Symbolisierung des menschlichen Geistes- und Seelenlebens, aquarellierte Federzeichnung von Johann Wolfgang Goethe, 1809 (© Wikimedia Commons).

Bereits im späten 17. Jahrhundert wurde in der Kunsttheorie ein heftiger Disput über das Verhältnis von Zeichnung und Farbe ausgetragen, der die vorherrschende Anschauung hinterfragte, dass die Linie als wesentlicher Ausdruck einer Idee vorrangig für die Wahrnehmung der Form verantwortlich sei, während die Farbe lediglich einen ornamentalen Zusatz bedeute. Die Übertragung der berühmten "Querelle du coloris" auf die Musik fand erst viel später statt. So herrschte noch in der Mitte des 19. Jahrhunderts die Vorstellung vor, die Orchestration sei ein bloßes "Coloriren und Ausmalen des in Umrissen schon fertig gezeichneten Bildes" (Fink 1836). Diese Unterscheidung zwischen Inhalt und Kolorit (Hanslick 1854) ging einher mit der Einteilung zwischen "zentralen" (Melodie, Harmonie und Rhythmus) und "peripheren" (Klangfarbe, Dynamik, Textur usw.) musikalischen Merkmalen (Handschin 1948) und spiegelt sich noch heute in den Formtheorien und der Analysepraxis dieses Repertoires wider.
Das Projekt zielt darauf ab, dem aufkommenden Bewusstsein für die konstruktive Kraft des Klangs bereits in der Musik des frühen 19. Jahrhunderts nachzuspüren, also zu einer Zeit, in der sich die Komponisten kritisch mit dem Formkanon der "Klassik" auseinandersetzten und nach neuen dramaturgischen Strategien suchten, gerade auch durch den Einsatz orchestraler Mittel. Die Analyse von in Deutschland und Italien in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts komponierten Sinfonien und Ouvertüren sowie das Studium historischer Quellen zum Kompositionsprozess und zur theoretisch-ästhetischen Reflexion in beiden Ländern sollen es ermöglichen, die tragende Rolle der Orchestration bei der Formgestaltung und -wahrnehmung zu prüfen und entsprechend die gängigen, vor allem auf Tonhöhen- und Intervallstrukturen orientierten Analysewerkzeuge zu erweitern. Letztlich geht es darum, zwei bisher getrennte Forschungsbereiche der Musikwissenschaft, nämlich die Orchestrationslehre und die Formenlehre, zusammenzuführen und eine neue historiographische Betrachtung des Kulturtransfers zwischen Deutschland und Italien jenseits des "Stildualismus" (Dahlhaus 1980) und der Polarisierung zwischen den Gattungen der (deutschen) Sinfonie und der (italienischen) Oper vorzunehmen.


Dr. Federica Di Gasbarro
Wissenschaftliche Mitarbeiterin Musikgeschichte 2022–2024