Restitution zwischen Erstattungsalltag und Erinnerungspolitik: Die Rückgabe geraubter Kulturgüter in der Bundesrepublik, Italien und Österreich, 1945–1998
Dr. Bianca Gaudenzi
Forschungsgegenstand ist der Prozess der Restitution geraubter Kulturgüter in Italien, der Bundesrepublik Deutschland und Österreich seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs bis zur "Washington Declaration on Nazi-confiscated Art" von 1998. Im Rahmen einer transnationalen Geschichtsschreibung von Restitutionspraktiken in und nach dem Kalten Krieg in den drei großen postfaschistischen westeuropäischen Ländern sollen deren Auswirkungen untersucht werden:
• auf die (Re-) Konstitution lokaler, nationaler und europäischer Gemeinschaften,
• auf die Aufarbeitung der faschistischen Vergangenheit in Europa,
• auf die Institutionalisierung übernationaler Regelungen zum Schutz des kulturellen Erbes.
Das kulturelle Erbe und Kulturgüter spielten in den betroffenen drei Staaten eine entscheidende Rolle bei den Bemühungen um den gesellschaftlichen Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg. Davon ausgehend wird analysiert, inwieweit Restitutionspraktiken (bzw. ihr Nichtvorhandensein) einen Beitrag zum Prozess der Gemeinschaftsbildung von 1945 bis 1998 geleistet haben. Von zentraler Bedeutung ist hierbei die Frage, wie sich die öffentlichen Diskurse zur Restitution, die in politischen Reden, Parlamentsdebatten und in der Presse als kathartischer rite de passage inszeniert wurden, zu den konkreten Restitutionsfällen verhielten, die von Restitutionskommissionen, Museen, Justiz- und Finanzbehörden durchgeführt wurden.
Als Studie zur Sozial- und Kulturgeschichte der Nachkriegszeit in Italien, der Bundesrepublik Deutschland und Österreich zielt dieses Projekt darauf ab, bisherige Forschungslücken und isolierte Perspektiven zu überwinden, indem die politische Funktion der Restitution für das Nachkriegseuropa in einem breiteren Kontext herausgestellt wird. Aus diesem Grund soll der Fokus zunächst auf lokale Akteure und Gemeinschaften gelegt werden – unter anderem Politiker, Journalisten, Lobbyisten, Museumskuratoren, Erben oder enteignete Besitzer. Die auf diese Weise ermöglichten empirischen Fallstudien sollen schließlich in nationale und europäische politische Diskurse eingebettet werden. Hierfür sollen öffentliche Debatten und Diskurse, politische Reden und die Medienberichterstattung ebenso wie die konkreten Tätigkeiten von nationalen Restitutionskommissionen und jüdischen Restitutionsagenturen analysiert werden.
Dr. Bianca Gaudenzi
Wissenschaftliche Mitarbeiterin DHI Rom / Visiting Scholar 2018–2022